Wieviel Kanzleien gibt es eigentlich in Deutschland?

Und wieso ist das so schwer, herauszufinden?

Der Zeit häufen sich wieder die Anfragen von Private Equity Gesellschaften, die entweder Software im deutschen Markt kaufen wollen oder einsteigen wollen in die Übernahme von Anwaltskanzleien Steuerberater Praxis der Wirtschaftsprüfer-Kanzleien. Dabei stehen im Bereich des Rechtsmarkts vor allen Dingen die Frage im Raum, wie viele Kanzleien gibt es eigentlich? Dazu ist festzustellen: es gibt keine offizielle Statistik, und die Erfassung dieser ist mit einer gewissen Ungenauigkeit nur zu leisten. Zentral ist aber die Umsatzsteuerstatistik, die bis zum Jahre 2016 sehr konkrete Zahlen nennen konnte. Seitdem wurde diese Serie vom Bundesstatistikamt leider eingestellt.

Aber da sich der Rechtsmarkt und die Anzahl der Anwalt Anwälte in ihm nicht wesentlich verändert haben seitdem (Kanzleien brauchen eine gewisse Größe, um im Bereich Wirtschaftsberatung mithalten zu können und entsprechende Spezialisierungen anbieten zu können, während Kanzleien für Privat-Mandanten auch mit sehr wenigen Anwälten auskommen), gehen wir von folgenden Zahlen und Annahmen aus:

Bei ca. 33.000 Inhabern dieser umsatzsteuerpflichtigen Einheiten (erfasst ab Kanzleien mit mind. 250.000 EURO Umsatz)

  • gibt es. circa 35.000 Anwälte in ca.  1200 Kanzleien (mit mehr als 2 Mio € Umsatz), die primär wirtschaftsberatend tätig sind
  • es gibt weiter circa 12.000 Anwaltskanzleien, die primär für Privat-Mandanten tätig sind (mit mehr als 250.000 EURO Umsatz, aber weniger als 2 Mio)
  • und es gibt zusätzlich ca. 90.000 Anwälte, die zum Teil scheinselbständig, zu einem kleinen Teil selbständig in anderen Kanzleien tätig sind.  Dies sind also aufgrund eigener Umsatzsteuerpflicht erfasste Anwälte, die allerdings zum Großteil keinen eigenen, eingerichteten Kanzlei betreiben, daher auch keine eigene Kanzleisoftware nutzen, sondern jene der Kanzleien, in denen oder für sie diese tätig sind. Ca. 10.000 von diesen sind in einem eigenen eingerichteten Kanzleibetrieb tätig, also mit eigenem Sekretariat, Marktauftritt etc… . 

Da die Gesamtzahl der noch tätigen Anwälte lt. Kilian unter 100.000 liegt, bedeutet das folgendes: ca. 80.000 Anwälte sind Unterauftragnehmer oder scheinselbständig in den größeren (umsatzsteuerpflichtig identifizierten) Einheiten tätig. Als Kanzleiberater seit 27 Jahren finde ich praktisch in jeder Kanzlei zwischen 10 % und 50 % der Anwälte in solchen Verhältnissen; sie nutzen die Infrastruktur der Kanzlei, insb. Sekretariat, IT, Räumlichkeiten etc., sind aber nicht Sozien oder angestellt; sei es, weil sie nur Teilzeit tätig sind, sei es, weil sie als Senioren nur noch zum Teil tätig sind, oder weil sie einfach nicht in die von Seniorität und Partnerschaft geprägten Strukturen passen oder die Kanzleien eine Anstellung zu aufwendig finden. 

Besonders kritisch sind jene sogenannten "Juniorpartner/innen" zu betrachten; diese sind nach der Anstellung, ab er vor Aufnahme als Sozien in einem Übergangsstadium oftmals "selbständig", werden also umsatzsteuerpflichtig. Diese Phase (in Österreich Substituten genannt)  bedeutet wirtschaftlich, dass diese nunmehr für ihre eigene Krankenversicherung und  Rentenversicherung aufzukommen haben, und ihre Einnahmen nunmehr von der Zahlungsbereitschaft der Mandanten aufkommen, was nicht selten zu überraschenden Folgen führt. Diese Phase bereitet die Anwälte auf die "Partnerschaft" vor, oftmals zu wirtschaftlich weniger attraktiven Konditionen als üblich. 

Die überaus große Zahl an Anwälten und Anwältinnen sind de facto von den Kanzleisystemen abhängig, von dessen Marketing und IT-Systemen, zwar formell unabhängig sind, aber oft genug der Definition von Scheinselbständigkeit entsprechend.

Warum ist das relevant?

  • Die Anzahl an Lizenzen, die Softwarehäuser verkaufen können, oder Kunden, mit denen sie umgehen müssten, ist limitiert (auf ca. 220.000)
  • Die Anzahl an Kunden, mit denen sie umgehen müssten, ist geringer als oftmals propagiert 
  • Die Anwaltschaft müsste Interesse daran haben zu verstehen, wie sie strukturiert sind; sonst können keine richtigen Schlüsse erfolgen. Die Umsatzsteuerstatistik weist für die Mehrzahl der Kanzleien eine Kostenquote von über 55 % aus. Falsche Daten führen zu falschen Schlüssen. Auch die hier genannten Daten beruhen zum Teil auf Annahmen; eine realistische Beurteilung wäre sinnvoll. 

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